Rheine: Falkenhof Orte der Polizeigeschichte

Ansicht des Falkenhofs. Erkennbar ist ein vergittertes Fenster im Westflügel.
Falkenhof (1964)

Daten und Fakten

Eingang zum Falkenhof zum Zeitpunkt der Nutzung durch die SA.
Eingang Falkenhof (1938)

Neben dem Alten Rathaus – in dem die eigentlichen Büroräume der Schutzpolizei und Kriminalpolizei waren – wurde auch der Falkenhof von der Polizei genutzt.

  • Neben dem Alten Rathaus – in dem die eigentlichen Büroräume der Schutzpolizei und Kriminalpolizei waren – wurde auch der Falkenhof von der Polizei genutzt. Im Westflügel des einstigen Adelssitzes und die Keimzelle der Stadt Rheine (erste urkundliche Erwähnung unter villa reni im Jahre 838) war wegen Platzmangels seit 1894 eine zusätzliche Polizeistation eingerichtet worden. Hier befanden sich zwei Wachstuben und vier Arrestzellen.  Bereits während der politischen Unruhen zu Beginn der Weimarer Republik war der Falkenhof 1919 als militärischer Stützpunkt okkupiert worden (Münsterländische Volkszeitung, Ausgaben vom 25.2. und 26.2.1919). Zeitweise waren zwischen 1923 und 1925 auch Einheiten der Schutzpolizei während der Ruhrbesetzung durch die Franzosen einquartiert.
     
  • Bereits im Oktober 1933 bezog die SA den Falkenhof als Stabsquartier der SA-Standarte 255 (Münsterländische Volkszeitung, Ausgabe vom 7.10.1933). Seit März 1934 bis 1938 hatte die SA-Standarte 255 und der Marine-SA mit der Stadt Rheine einen Mietvertrag geschlossen, um den Ostflügel sowie den östlichen Saal des Haupthauses im Falkenhof zu nutzen. Für eine vergleichsweise geringe Miete von 50 Reichsmark monatlich residierte hier die örtliche Sturmabteilung. Die unter dem Dach liegenden Schlafräume fielen dabei ebenfalls der SA zu. Bei Aufmärschen zu verschiedenen Anlässen wurde der Falkenhof als Sammelpunkt genutzt. Verschiedene Fotografien zeigen, dass es auch große – wahrscheinlich kreisweite – Aufmärsche auf dem Vorplatz des Falkenhofes gab.
     
  • Neben der Unterbringung von „normalen“ Gefangenen wurde das Gefängnis im Falkenhof für Verfolgte des Regimes eingesetzt. Die in der gemeinsamen Aktion von SA und Polizei während des Novemberpogroms 1938 verhafteten jüdischen Männer wurden in die Zellen gesperrt. Hermann Rosenberg berichtete später von den Ereignissen am 9. November 1938: „Nach Anzünden der Synagoge zog die Bande zum Markt. Sie zerschlugen alle Fensterscheiben mit langen Fahnenstangen im Hause Markt 7, brachen die Türen offen und stürmten in die Wohnung, zerschlugen mit Äxten Möbel, Waschbecken, Spiegel, brachen mehrere Stufen aus der Treppe zum ersten Stock, zerschlugen die Innenfenster. Dann kam Everding [Leiter der Kriminalpolizei in Rheine] und nahm mich in „Schutzhaft“ ins Gefängnis am Falkenhof.“
     
  • Im Zuge der „Aktion Gewitter“ – die massenhafte Verhaftung ehemaliger politischer Mandatsträger nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler im Juli 1944 – sollen die Verhafteten ebenso inhaftiert gewesen sein, wie auch Zwangsarbeiter, die von der Polizei aufgegriffen wurden. Dabei soll es auch zur Ausübung von Gewalt gekommen sein, wie Aussagen nach dem Krieg belegen: „Männer, Frauen und Mädchen, die dort untergebracht waren, wurden von Everding in der rücksichtslosesten Weise beschimpft, wie „Du Sauass“, „Wie oft hast du hingehalten?“, „Hure“ usw. Auch Deutsche waren hier untergebracht. In einer Zelle waren zuweilen bis zu 20 Personen untergebracht, trotzdem der Raum höchstens für 2 Personen reichte. An schlafen war unter diesen Umständen nicht zu denken. Die Gefangenen mussten dann stehend die Nacht in der Zelle zubringen.“  (Aussage von Albert Ostermann vom 8. September 1948, NW 1039-E-1411, STAD) Und weiter: „Ich habe das Schreien der Gefangenen, wenn ich in der Nähe war, wahrgenommen.“
     
  • Am 4. Januar 1940 erwarb die Stadt Rheine endgültig den Falkenhof. Besonders nach den massiven Schäden nach dem großen Luftangriff vom 5. Oktober 1944 am eigentlichen Rathaus entstanden, wurden Teile der Stadtverwaltung im Falkenhof einquartiert. Auf dem Gartengelände wurde parallel zum Ostflügel ein unterirdischer Luftschutzbunker aus Stahlbeton (19x4 m) angelegt.
     

Text: André Schaper (2024). Quellen: Getrud Althoff, Die Rassenideologie der Nationalsozialisten und ihre Auswirkung auf die Rheinenser Juden; in: Rheine: gestern, heute, morgen 3/1985 (15. Ausgabe), Rheine 1985, S. 136; Rudolf Breuing/Karl-Ludwig Mengels/Wolfgang Knitschky: Die Kunst- und Kulturdenkmäler in Rheine, Band 2 (Die Profanen Denkmäler), Rheine 2007, S. 24 ff.

Weitere Informationen

Josef Everding wurde 1896 in Borghorst geboren. 1915 bis 1919 war er Soldat, nach seiner Demobilisierung ab 1920 Streifenpolizist bei der Schutzpolizei in Rheine. Etwa 1925 wurde Everding in die Kriminalabteilung in Rheine versetzt.

Nach 1933 wurde Josef Everding Leiter der Kriminalabteilung in Rheine. In dieser Funktion absolvierte er mehrere Lehrgänge, unter anderem 1936 den Anwärterlehrgang an der Führerschule der Kriminalpolizei in Berlin-Charlottenburg, und wurde 1935 zum Kriminalsekretär und 1938 zum Kriminalbezirkssekretär befördert. 1945 stieg er schließlich Kriminalobersekretär auf.

Bereits ab 1933 gehörte die Überwachung politischer Gegner (insbesondere der Kommunisten) zu den Aufgaben der Kriminalpolizei in Rheine. Ab 1937 wurde Everdings Aufgabenbereich anlässlich der Umstrukturierung der Polizei erweitert und umfasste fortan die Beobachtung und Verfolgung jeglicher politischer Gegner des Nationalsozialismus. Der Grund dafür war, dass die Gestapo in Münster zu wenig eigenes Personal besaß und auf die Zuarbeit angewiesen war. Auf diese Weise wirkte Josef Everding bei der Systemstabilisierung vor Ort mit. Dokumentiert sind brutale Verhörmethoden, die Everding einsetzte.

Drei Beispiele für die Opfer Josef Everdings:

  1. Herbst 1938: Heinrich Buchzik (sog. Asozialer), wurde verhaftet, da er offen kommunistische Ansichten vertrat. Buchzik kam Anfang 1939 ins KZ Sachsenhausen und von dort 1940 ins KZ Dachau. Er wurde 1942 „ausselektiert“ und in die Tötungsanstalt Schlosss Hartheim verbracht, wo er umgehend in einer Gaskammer ermordet wurde.
     
  2. Sommer 1944: Der Sozialdemokrat Heinrich Roters wurde von Josef Everding am 25. August 1944 verhaftet und in das Gefängnis im Falkenhof gebracht. Von dort aus wurde Heinrich Roters nach einigen Wochen in das KZ Sachsenhausen deportiert. Am 6. Februar 1945 wurde er in das KZ Buchenwald verlegt. Roters kam vermutlich bei einem der Todesmärsche kurz vor der Befreiung des KZs durch die Alliierten um.
     
  3. Sommer 1944: Helene Tübergen, eine zum Protestantismus konvertierte Jüdin, mit einem „Arier“ verheiratet war und deshalb von der Deportation 1941/42 verschon worden war, wurde von Everding verhaftet und ins Polizeigefängnis im Falkenhof verbracht. Von dort aus wurde Helene Tübergen ins KZ Auschwitz deporteirt, dann im KZ Ravensbrück. Sie überlebte den Krieg.

Der Kriminalbeamte Josef Everding war kein überzeugter Nationalsozialist, denn er trat erst 1937 in die NSDAP ein. Trotzdem half er dem Regime vor Ort.  Im Rahmen der Entnazifizierung wurde Everding in die Gruppe V (Mitläufer) eingeordnet. Für seine Taten wurde er nie belangt. 1949 ging Josef Everding bei vollen Bezügen in Pension und starb 1956.
 


Quelle: André Schaper, NS-Herrschaft vor Ort: Josef Everding und die Kriminalpolizei in Rheine. Master-Arbeit (Universität Osnabrück), 2014

Fotos

  • SA-Aufmarsch am Falkenhof im Jahr 1935.
    SA-Aufmarsch (1935)
  • SA-Aufmarsch am Falkenhof (Ansicht des Vorplatzes).
    SA-Aufmarsch (1935)
  • Polizeibeamte vor dem Falkenhof (Josef Everding: dritter von links in der mittleren Reihe).
    Polizeitruppe Rheine (1920)
  • Ansicht des Falkenhofs. Erkennbar ist ein vergittertes Fenster im Westflügel.
    Falkenhof (1964)
  • Gesamtansicht des Falkenhofs aus dem Jahr 1964.
    Gesamtansicht (1964)
  • Kriminalbeamter Josef Everding an seinem Dienstplatz.
    Josef Everding
  • Gedenktafel zur Erinnerung an die im Falkenhof inhaftierten Opfer des Novemberpogroms.
    Gedenktafel (2023)
  • Aufnahme des Brunnens und des Haupteingangs.
    Brunnen und Haupteingang (2023)
  • Gesamtansicht des Falkenhofs in Rheine aus dem Jahr 2023.
    Gesamtansicht (2023)
  • Hofansicht des Falkenhofs in Rheine aus dem Jahr 2023 (Eingang und Westflügel).
    Hofansicht (2023)

Kontakt

Falkenhof Museum

Tiefe Straße 22
48431 Rheine

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