Sind Remonstrationsrecht und -pflicht der Beamten bei unklarer Rechtslage und den aktuellen Bedingungen noch zeitgemäß bzw. hinreichend?

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Von besonderem Forschungsinteresse war die Remonstrationspflicht in bewegten, mitunter sehr polarisierenden Zeiten, hier am Beispiel der Remonstration gegen die Corona-Maßnahmen an Schulen. In diesem Kontext Schule wurde untersucht, ob die Remonstrationspflicht die ihr zugedachten Zwecke in der aktuellen gesetzlichen Ausgestaltung überhaupt erfüllen kann, ob dieses Kontrollinstrument behördenseitig ausreichende Rahmenbedingungen vorfindet und beamtenseits überhaupt noch en vogue ist oder eher als Last empfunden wird.

Im Projekt wurden insgesamt 25 Lehrer (21 Frauen und vier Männer) aus sieben verschiedenen Bundesländern und aus allen Schulformen befragt. Die Befragten waren weit überwiegend sehr erfahrene Lehrkräfte mit mehr als 15 Berufsjahren und einem Alter ab 40 Jahren aufwärts. Die Befragung wurde anhand leitfadengestützter Experteninterviews durchgeführt, die zwischen 40 und 80 Minuten dauerten und das persönliche Dilemma der Befragten sehr deutlich zeigten.

Da recht viele Lehrer zweimal remonstriert haben, kamen insgesamt 33 Remonstrationen zusammen. Überwiegend wurde gegen die Masken- und die Testpflicht remonstriert. Angegriffen wurden unmittelbare Anordnungen von Vorgesetzten, ministerielle Vorgaben (bspw. Runderlasse, Rundmails etc.), Verordnungen und Gesetze. Die Lehrer haben auf 2 bis 26 Seiten (Durchschnit ca. fünf Seiten) ihre Gründe sehr ausführlich dargelegt. Neben rechtlichen Argumenten, nämlich einem Verstoß gegen Art. 3 UN-KRK oder einer fehlerhaften Verhältnismäßigkeitsprüfung, wurden psychische und physische Folgen sowie Bildungsverluste der Kinder usw. angegeben. Neben den Interviews wurden auch die zur Verfügung gestellten Schreiben aus den Remonstrationsverfahren der Lehrer ausgewertet. Wenn man die Erkenntnisse hieraus mit dem Ideal des Pflichtenkanons des modernen Beamten abgleicht, drängt sich der Eindruck auf, dass aus Vorgesetztensicht bzw. behördenseits eine Selbstkontrolle der Verwaltung durch die Lehrer in dieser Situation evident unerwünscht gewesen zu sein scheint.

Bezieht man überdies die Rückmeldungen aus den Kultusministerien, den vier Bezirksregierungen in Nordrhein-Westfalen und den Lehrerverbänden ein, bestätigt sich dieser Eindruck. Es wird sehr deutlich, dass es in den Behörden an der Bereitschaft fehlte, sich vertieft mit den Einwendungen der Lehrer auseinanderzusetzen. Es wird nicht nur wenig Verständnis für die Remonstrierenden geäußert, statdessen werden jene sogar noch als unbequem abqualifiziert, und es wird ihnen vorgeworfen, dass es nur um Lästigkeiten ginge und nicht um die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen. Die Einwände werden teilweise lediglich als allgemeine Einwendungen betrachtet, mit denen man nur schulische Abläufe stören wolle.

Deutlich wird auch, dass die Remonstrationen oft durch Amtsautorität, also top-down gelöst und zum Teil auf rechtlich wackeliger Grundlage aus formalen Gründen abgelehnt wurden. Demzufolge wird die Remonstra?onspflicht – anders als von Gesetzes wegen angedacht – offenbar nicht überall als wichtiges Compliance- bzw. Kontrollinstrument positiv bewertet, sondern als unerwünscht angesehen. Damit wurde in weiten Teilen behördenseits die grundrechts- und rechtstaatssichernde Funk?on der Remonstration verkannt.

Auch wenn richtigerweise weit überwiegend keine unmitelbar negativen Folgen für das Beamtenverhältnis von Seiten des Dienstherrn eingeleitet wurden, wird deutlich, dass kein professioneller Umgang mit Kritik gelebt wurde, obwohl kritisches Denken zur Sicherung der Rechtsstaatlichkeit originäre Aufgabe der Beamten ist. Infolge der belastenden Gesamtsituation, gerade auch durch die Abqualifizierung der Bedenken – sind viele der befragten Lehrer krank geworden. Zumeist gab es länger andauernde psychische Belastungen. Einige Lehrer haben ob der Machtlosigkeit als letzten Ausweg die Entlassung, eine Beurlaubung, die Frühpensionierung oder Teilzeit beantragt oder schlicht resigniert.

Gleichwohl hielten alle Befragten die Remonstration für elementar und unverzichtbar. Allerdings kam die Mehrheit auch zu dem Schluss, dass während der Corona-Pandemie abweichende Meinungen über die Recht- und Zweckmäßigkeit nicht ausreichend gehört wurden und die Remonstration nur ein Feigenblat war, da die Verfahren überwiegend aus formalen Gründen abgelehnt wurden. Aufgrund dieser Feststellungen wurde deutlich, dass vor allem die Pflicht zur Remonstration bekannter gemacht, die Akzeptanz gestärkt und die Rahmenbedingungen verbessert werden müssen, es aber auch mehr Mut auf Seiten der Beamten geben muss, dieser Pflicht nachzukommen.